Augenzeugenberichte geben neue Aufschlüsse
NS-Verbrechen. Nach 35 Jahren wird das Verfahren gegen die
frühere KZ-Wärterin Erna Wallisch wohl neu aufgerollt: Überlebende
wollen deren Beteiligung an Massenmorden bezeugen.
Efraim Zuroff lächelt leise. „Manchmal zahlt es sich eben aus, hartnäckig zu
sein.“ Vor 35 Jahren war das Verfahren gegen Erna Wallisch
und andere Wärter des KZ Majdanek wegen mutmaßlichen Mordes
aus Mangel an Beweisen abgebrochen worden. Zuroff, Direktor
des Simon-Wiesenthal-Centers in Jerusalem, hatte nie an die
Unschuld der Wahlwienerin – sie lebt im Bezirk Donaustadt
– geglaubt. Seit Jahren kämpft er für eine Wiederaufnahme
ihres Falls. Bald könnte es so weit sein.
Das Justizministerium in Wien hat
jetzt aus Polen neues Belastungsmaterial bekommen – aus einer
Quelle, die Zuroff genannt hatte. Die Staatsanwaltschaft
sichtet derzeit die Beweise und erwägt, den Fall neu aufzurollen.
Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, wie profil-Recherchen
ergaben: Neun Frauen, die das KZ überlebt hatten, haben gegen
Erna Wallisch ausgesagt.
Das entsprechende Papier liegt profil
vor.
S.50/05/Zn – hinter der Aktenzahl des polnischen Instituts
für Nationales Gedenken (IPN) verbirgt sich die Geschichte
jener, die zwischen 1941 und 1944 im Lager Majdanek nahe
der Stadt Lublin eingesperrt waren. Zumindest jener, die
das IPN aufgespürt hatte. Tatiany T., Zofii F., Jadwigi W.,
Zofii K. oder auch Anny K. Sie berichten von Gräueltaten
gegen Frauen und Kinder, Tritten, Schlägen, Peitschenhieben,
Züchtigungen, Massenmord. Und sie berichten von Erna Wallisch,
die gemeinsam mit anderen Wärtern all dies vor ihren Augen
getan haben soll.
Eigenhändig. Als das IPN im Mai vergangenen
Jahres herausfand, dass Wallisch – für sie gilt die Unschuldsvermutung
– in Österreich bisher nicht verurteilt worden war, entschlossen
sich die Mitarbeiter, sich den Fall selbst näher anzusehen.
Sie machten vier weitere Überlebende ausfindig: Danuta B.,
Ewa W., Janina W., Jadwiga L. Auch sie bezeugen, dass Wallisch
während ihrer Zeit als KZ-Wärterin in Majdanek vom 7. Oktober
1942 bis 15. Jänner 1944 gemeinsam mit anderen Wärtern an
der Ermordung vieler Häftlinge beteiligt gewesen sei. Eine
Frau will gar gesehen haben, wie Wallisch eigenhändig einen
Menschen erschlug.
Das könnten jene Beweise sein, die
1973 zu einer Verurteilung von Wallisch gefehlt haben. Die
Beihilfe zum Mord, nach damals geltendem Strafrecht „entfernte
Mitschuld am Mord“, war bereits verjährt. In Polen verjähren
Kriegsverbrechen nicht. Auch das österreichische Majdanek-Verfahren
kann ohne Weiteres wieder aufgenommen werden – es wurde 1973
lediglich abgebrochen, nicht eingestellt, wie es aus der
Staatsanwaltschaft Wien heißt.
Beim Prozess in Graz hatte Wallisch
1972 angegeben, sie habe Befehl gehabt, in der Badebaracke
Häftlingsfrauen zu „bewachen“; sie habe den vor Angst Schreienden
lediglich „gut zugeredet und durch Handbewegungen für Ruhe
gesorgt. Es waren alte und junge Frauen und auch Kinder,
die ich gesehen habe, als sie in die Gaskammer geführt wurden.“
An all das will sich die 85-Jährige
nicht mehr erinnern. Zur Aussage einer polnischen Zeugin,
wonach sie an der Selektion von Häftlingen für die Gaskammer
teilgenommen habe, meinte sie im September gegenüber profil:
„Das ist ja gar nicht wahr.“ Um gleich danach zu erklären:
„Ich weiß nichts mehr, und ich will auch gar nichts mehr
wissen.“
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