16.06.04 KURIER - Wien, 2004
  "Kopfgeld" für NS-Kollaborateure

 
 

Irritation in Polen: Eine Telefon-Hotline nimmt Hinweise auf Kollaborateure im Zweiten Weltkrieg und Kriegsverbrecher entgegen.

Warschau- "Dieser Gedanke bereitet mir Abscheu", sagte der ehemalige Außenminister Bronislaw Geremek, Sohn eines von den Nationalsozialisten in Auschwitz ermordeten Rabbiners, gegenüber dem Rundfunksender "Radio Zet". "Ich wünschte mir eher, dass die ganze Welt weiß, wie viel Gutes Polen für andere Polen getan haben, indem sie Juden retteten", meinte Geremek.

Telefon-Hotline

Das Wiesenthal-Zentrum in Jerusalem hatte Anfang der Woche angekündigt, im Rahmen des Projekts "Letzte Chance" in Polen eine Telefon-Hotline zu schalten. Anrufer sollen Hinweise auf Kollaborateure im Zweiten Weltkrieg, Kriegsverbrecher und auf andere Personen geben, die Juden verfolgten. Eine ähnliche Aktion hat es bereits in den baltischen Staaten gegeben.

"Eine schlechte Idee", kommentierte am Mittwoch auch Adam Michnik, der Chefredakteur der liberalen "Gazeta Wyborcza". Ein Kopfgeld mache den Weg frei für "Abrechnungen, lügnerische Anklagen und demagogische Verallgemeinerungen". Auch Witold Kulesza, der stellvertretende Direktor des "Instituts des Nationalen Gedenkens" (IPN), das nationalsozialistische und stalinistische Verbrechen ahndet, zeigte sich irritiert. "Ich bin verwundert, dass Polen an ein Projekt angebunden wird, das die baltischen Staaten und jene Länder Osteuropas umfasst, die mit Hitler zusammenarbeiteten", kommentierte er in der "Gazeta Wyborcza". Als einziges Land in der Region habe Polen seit 1945 konsequent Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgt.

Das Wiesenthal-Zentrum, eine der größten internationalen jüdischen Menschenrechtsorganisationen, will alle Hinweise auf Kollaborateure und Kriegsverbrecher an das IPN weiterleiten. Das Institut ermittelt in Polen mit staatsanwaltlichen Vollmachten.