Sie sollen ihrer Strafe nicht entgehen,
auch wenn sie seit Jahrzehnten glauben, niemand erinnere
sich mehr an die Vergangenheit oder an ihre Opfer. Die deutschen
Täter, die im besetzten Europa oder in den Konzentrations-
und Vernichtungslagern als Mitglieder der Wachmannschaften
Teil des mörderischen Systems des Holocaust waren. Die "Szmalcowniki", jene Polen, die der Gestapo im Zweiten Weltkrieg versteckte Juden auslieferten.
Die Kollaborateure zwischen Baltikum und Balkan, die entrechtete
Juden quälten und ermordeten. Seit einigen Jahren ist das
Jerusalemer Simon Wiesenthal Center auf der Suche nach den
vergessenen Tätern.
"
Operation letzte Chance" heißt
das Projekt, das im Juli 2002 im Baltikum seinen Anfang nahm.
Nachdem die Aktion Ende Januar in Deutschland als bisher
neuntem Land startete, zog Wiesenthal- Direktor Ephraim Zuroff
nun in Warschau eine Zwischenbilanz. Bisher konnten 79 Namen
von noch lebenden mutmaßlichen Tätern, gegen die noch nicht
ermittelt wurde, an die Justiz in knapp einem Dutzend Staaten
weitergeleitet werden. Insgesamt erhielt das Wiesenthal Center
364 Namen. "Das sind für uns erst einmal nur Verdachtsfälle, die genau überprüft werden müssen", betont Zuroff. "Nichts wäre schlimmer, als wenn wir die Namen von Unschuldigen veröffentlichten."
Deshalb soll unbedingt ausgeschlossen werden, dass missliebige
Nachbarn oder Verwandte denunziert werden - umso mehr, als
das Wiesenthal Center ein "Kopfgeld" in
Höhe von 10.000 Dollar für Hinweise auf Täter anbietet, die
verurteilt werden. "So etwas gab es, aber das waren nur wenige Einzelfälle", schränkt Zuroff ein. Eine weitere Voraussetzung war: Die Täter müssen noch
leben und dürfen nicht bereits für die Verbrechen bestraft
worden sein.
Die Arbeit ist langwierig, denn nicht nur die Täter, auch
die Zeugen sind sehr alt, und mit jedem Monat schwinden Chancen,
einen Fall zu lösen. Nicht selten erschweren Passivität und
mangelnde Kooperationsbereitschaft der örtlichen Justiz die
Suche nach Nazi-Tätern. "Besonders
schlimm ist es in den baltischen Staaten, in Rumänien und
Österreich", sagt Zuroff. In Österreich etwa bestanden 95 Prozent der Reaktionen auf den
Aufruf des Wiesenthal Centers in antisemitischen Anrufen,
E-Mails und Faxen.
Doch gerade dort, wo die einheimische Justiz eher feindselig
reagierte, wurden die Nazi-Jäger fündig. In Litauen gab es
fast 200 Hinweise auf Verdachtsfälle, von denen 46 den Behörden
weitergeleitet wurden; in Lettland waren es 43 Fälle, von
denen 13 bei der Staatsanwaltschaft landeten. "Wir
bekamen Briefe von Menschen, die seit Jahrzehnten ihr Wissen
weitergeben wollten", sagte Zuroff. "Der Staatsanwaltschaft haben sie nicht getraut."
In einer Reihe von Fällen bauten sich die mutmaßlichen Täter
ein neues Leben weit weg von Europa auf. Doch auch wenn sie
in Australien, Kanada, Südafrika oder den USA vor Gericht
gestellt werden könnten, hofft Zuroff auf Prozesse in deren
Heimatländern. "Unsere
Aktion soll nicht nur die Täter bestrafen, sondern auch in
den Gesellschaften der Länder Bewusstsein für Komplizentum
und Kollaboration wecken, ein Signal setzen gegen Antisemitismus
und Holocaust-Leugnung."
URL: http://www.n-tv.de/520212.html
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