„Ich
weiß, dass die Zeit gegen mich ist.“
Efraim Zuroffs autobiographischer Bericht „Operation Last Chance. Im Fadenkreuz des »Nazi-Jägers«“
Von Johannes Beermann
Befragt nach dem Grund, weshalb er nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht
zu seiner ursprünglichen Tätigkeit als Architekt zurückgekehrt sei sondern
sich dazu entschieden habe, Nazis zu verfolgen, antwortete der im Jahr
2005 verstorbene Simon Wiesenthal folgendes: Er sei zwar kein gläubiger
Mensch aber dennoch davon überzeugt, dass es eine Welt nach dem Tod gebe.
Dann werde er im Himmel bestimmt auf die Überlebenden des Holocaust treffen
und die erste Frage die diese ihm dann stellen würden, wäre: „Du hast
Glück gehabt und überlebt. Was hast du mit deinem Leben gemacht?“.
Darauf wünschte sich Wiesenthal nur eines antworten zu können: „Ich habe
Euch nicht vergessen.“ Diese Botschaft des wohl berühmtesten aller „Nazi-Jäger“
wurde auch für seinen Nachfolger Efraim Zuroff zur Verpflichtung, rund
um den Globus nach noch lebenden Nazi-Kriegsverbrechern zu fahnden und
diese wenn möglich vor Gericht zu stellen: „Getreu der Vorgabe von Simon
Wiesenthal habe ich die Opfer des Holocaust nicht vergessen.“ (S. 273)
Seit über 15 Jahren informiert der Direktor des Simon Wiesenthal Centers
und Koordinator der weltweiten Verfolgung von Nazi-Kriegsverbrechern
auch in Seminaren an der International School for Holocaust Studies (ISHS)
über seine Tätigkeit. Im Fall des ungarischen Offiziers Sándor Képíró,
der 1942 mutmaßlich am Massaker von Novi Sad, im heutigen Serbien, beteiligt
war und der 2006 von Zuroff in Budapest aufgespürt wurde, spielten zwei
Teilnehmer eines ungarischen Lehrerseminars, die Zuroff zuvor in Yad
Vashem kennengelernt hatte, sogar eine zentrale Rolle. Sie halfen dabei
den Wohnort Képírós ausfindig zu machen und unterstützten Zuroff während
seines Aufenthalts in Ungarn.
Nachdem der israelische Autor und Journalist Tom Segev jüngst eine hervorragende
Biographie über das Leben Simon Wiesenthals vorgelegt hat, erschien nun
im Oktober 2011 erstmalig auch Efraim Zuroffs - ursprünglich bereits
2009 auf Englisch veröffentlichter - autobiographischer Bericht „Operation
Last Chance. Im Fadenkreuz des »Nazi-Jägers«“ in deutscher Sprache. Auf
knapp 275 Seiten gibt Zuroff darin sehr persönliche Einblicke in seinen
Werdegang und die Arbeit eines „Nazi-Jägers“, die sich bei der Lektüre
als etwas ganz anderes entpuppt, als es diese Zuschreibung auf den ersten
Blick vermuten lassen würde.
Nach einer speziell für die deutsche Ausgabe verfassten Einleitung, in
der sich der Autor mit seinem persönlichen Verhältnis zu Deutschland
und dessen Bemühungen zur Verfolgung von NS-Tätern auseinandersetzt,
schildert Zuroff seinen Lebensweg vom kleinen Jungen in Brooklyn, der
eigentlich viel lieber professioneller Basketballspieler als „Nazi-Jäger“
werden wollte, bis hin zum Leiter einer internationalen Menschenrechtsorganisation.
Nach diesem eher biographischen Einstieg wendet sich Zuroff dann in den
folgenden Kapiteln detailliert der Strafverfolgung von Nazi-Kriegsverbrechern
und der Tätigkeit des Simon Wiesenthal Centers in Australien, Großbritannien,
Kanada, Litauen, Lettland, Estland und Kroatien zu. Er beschreibt mit
welchen Schwierigkeiten er und seine Unterstützer zu kämpfen hatten,
um die dort lebenden NS-Täter rechtlich belangen zu können. Leider liest
sich diese Darstellung oft wie eine Chronik des Scheiterns. Denn die
meisten dieser sieben Länder waren (bzw. sind zum Teil noch immer) nicht
bereit
juristisch gegen Nazi-Kriegsverbrecher vorzugehen. Nur in wenigen Fällen
kam es überhaupt zu strafrechtlichen Ermittlungen, ganz selten zu einem
wie auch immer gearteten Verfahren oder gar einer Verurteilung, oft nur
unter massivem Druck der Medien und der Öffentlichkeit, sowie der internationalen
Politik.
Auf fünf der bedeutendsten Fälle seiner Karriere geht Zuroff ausführlich
im anschließenden Teil seines autobiographischen Berichtes ein: Zunächst
auf Dinko Šakić, den Kommandanten des Konzentrationslagers Jasenovac
im „Unabhängigen Staat Kroatien“, dann auf die KZ-Aufseherin Erna Wallisch,
dem „Weibsteufel von Majdanek“, anschließend auf den mutmaßlichen ungarischen
Kriegsverbrecher Charles Zentai und auf Aribert Heim, den berüchtigten
Lagerarzt von Mauthausen, sowie schließlich auf den eingangs erwähnten
Fall des ungarischen Offiziers Sándor Képíró. Wie bereits in den vorangegangenen
Kapiteln, wird auch in diesem Abschnitt deutlich, wie unzutreffend das
Attribut „Nazi-Jäger“ eigentlich ist. Denn wie Zuroff selbst deutlich
macht, stellt das Finden von NS-Kriegsverbrechern, entgegen der allgemein
verbreiteten Annahme, nicht den schwierigsten Teil seines Berufes dar,
sondern vielmehr der darauffolgende Schritt, die jeweiligen Heimatländer
von einem juristischen Vorgehen gegen die Täter zu überzeugen. Nach der
Lektüre
seines Buches kann man deshalb Zuroffs Urteil, über das „Anforderungsprofil“
eines „Nazi-Jägers des 20. Jahrhunderts“ nur zustimmen: Dieser müsse
nämlich – so Zuroff - zu einem Drittel Detektiv, zu einem Drittel Historiker,
aber vor allem auch zu einem Drittel politischer Lobbyist sein. (S.181)
Mit der deutschen Übersetzung von Zuroffs Bericht ist dieses spannende
Buch nun endlich auch für das deutschsprachige Publikum zugänglich. Leider
wird die Lektüre durch eine etwas unbeholfene Übertragung ins Deutsche
getrübt. Es finden sich viele Rechtschreib- und Grammatikfehler. Außerdem
sind einige Passagen aufgrund einer direkten Übersetzung aus dem Englischen
ins Deutsche sperrig oder ungenau formuliert. Auch wäre angesichts der
verstrichenen Jahre zwischen der Erstveröffentlichung und dem Erscheinen
der deutschen Übersetzung eine Aktualisierung sinnvoll gewesen. In vielen
der präsentierten Fälle haben sich nämlich in den letzten Jahren neue
Entwicklungen ergeben, sei es weil die
(mutmaßlichen) NS-Kriegsverbrecher mittlerweile verstorben sind (Milivoj
Ašner, Harry Männil und Sándor Képíró) oder weil Verfahren abgeschlossen
wurden (Képíró und Charles Zentai). Abgesehen von diesen kleineren Mängeln
jedoch, ist die autobiographische Beschreibung des Arbeitsalltags des
„letzten Nazi-Jägers“ Efraim Zuroff sehr zu empfehlen.
Johannes Beermann, studiert Geschichte an der Universität Bremen und ist derzeit
als Praktikant am German Desk der International School für Holocaust
Studies, Yad Vashem beschäftigt.
yadvashem.org